Nach dem deutschen Aktiengesetz liegt die operative Verantwortung für ein Unternehmen beim Vorstand. Er spricht für das Unternehmen. Der Vorstand ist das Gesicht des Unternehmens gegenüber allen Stakeholdern. Das ist aber nur die halbe Wahrheit. Der Aufsichtsrat wurde vom Gesetzgeber und von der international gelebten Governance schrittweise immer stärker in die Pflicht genommen. Er ist auch im Außenbild viel stärker als früher für das Ansehen des Unternehmens bei seinen Stakeholdern verantwortlich.
Wenn es im Kodex heißt, dass der Vorstand den Aufsichtsrat regelmäßig, zeitnah und umfassend über alle für das Unternehmen relevanten Fragen, insbesondere der Strategie, der Planung, der Geschäftsentwicklung, der Risikolage, des Risikomanagements und der Compliance informiert, dann ist damit auch die Reputation gemeint. Die eigene Reputation zählt heute genauso zu den Risikofaktoren eines jeweiligen Unternehmens wie Lieferketten oder Arbeitsprozesse. Und wer informiert werden muss oder will, ist auch in der Pflicht – vor allem aus Sicht der Öffentlichkeit.
Entsprechend müssen Aufsichtsräte heute in der Lage sein, Reputationsrisiken zu erkennen. Das heißt ganz konkret, dass Aufsichtsräte in der Lage sein müssen, Kommunikationsrisiken und -chancen nicht nur zu beurteilen, sondern auch aktiv damit umzugehen.
Beispiele von Unternehmen, die in diese Reputationsfalle geraten sind, gibt es viele. Eine wichtige Ursache für das Reputationsrisiko ist die schlechte Koordinierung der Entscheidungen, die von verschiedenen Geschäftsbereichen und Funktionen getroffen werden. Wenn eine Gruppe Erwartungen weckt, die eine andere Gruppe nicht erfüllen kann, kann der Ruf des Unternehmens darunter leiden. Ein klassisches Beispiel ist die Marketingabteilung eines Softwareunternehmens, die eine große Werbekampagne für ein neues Produkt startet, bevor die Entwickler alle Fehler identifiziert und beseitigt haben: Das Unternehmen muss sich dann entscheiden, ob es ein fehlerhaftes Produkt verkauft oder es später als versprochen auf den Markt bringt. Beides ist schlecht für die Reputation. Da braucht es Entscheidungen, wie diese – auch durch geeignete Kommunikation – optimal geschützt werden kann.
Es muss nicht mal ein schlechtes Produkt sein. Bei „Pret à manger“, der Sandwich-Kette mit 450 Läden auf 9 Kontinenten genügte eine fehlende Produkt-Deklaration, die auf das Vorhandensein von Sesam hingewiesen hätte, wozu es keine gesetzlichen Verpflichtungen gab. Im Herbst 2018 starb ein 15-jähriges Mädchen an einer extremen allergischen Reaktion, die in direktem Zusammenhang mit der Marke stand. Warum hatte niemand zuvor die richtigen Fragen gestellt? Oder manchmal genügt einfach ein fehlendes Bewusstsein im Management, was eine Krise ist. Greenpeace hat 2010 eine Kampagne gegen das Nestlé Produkt KitKat gefahren wegen der Verwendung von Palmöl. Auf der Facebook-Seite des Unternehmens wurde massiv zum Boykott gegen Nestlé aufgerufen, was das Unternehmen veranlasste, die meisten Kommentare zu löschen und Löschung anzudrohen, wenn gewisse Inhalte gepostet würden. Nestlé hatte damit eine breite Kluft zu ihren Kunden geschaffen, die ausreichte, um in dieser Angelegenheit kläglich zu verlieren.
Zum Glück gibt es immer wieder positive Beispiele, wie es einem Unternehmen gelingt, durch schnelle, richtige Schritte eine Reputationskrise abzuwenden. Beispiel dafür ist Adidas nach einer E-Mail, die das Unternehmen an die Teilnehmer des Boston-Marathons 2017 geschickt hatte mit dem Text: „Glückwunsch, Sie haben den Boston-Marathon überlebt!“… Dies nachdem an dieser Veranstaltung vier Jahre zuvor ein Terroranschlag verübt wurde, der mehreren Menschen das Leben kostete. Das Unternehmen hat sich sofort öffentlich für den Vorfall entschuldigt und den Vorfall als Fehler des E-Mail-Marketing-Teams erklärt. Damit konnte ein Social-Media-Skandal vermieden werden, der dem Unternehmen eine Menge Geld hätte kosten können. Der Ruf eines Unternehmens ist auch dann gefährdet, wenn sich die Medien nur auf einige wenige Themen konzentrieren, wie z.B. auf die Gewinne und die Persönlichkeit des Vorstandsvorsitzenden. Selbst wenn die Berichterstattung über diese Themen extrem positiv ist, wird ein negatives Ereignis außerhalb dieser Bereiche viel größere negative Auswirkungen haben, als wenn das Unternehmen eine breitere positive Berichterstattung genossen hätte.