Langfristig gute Corporate Governance

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Langfristig gute Corporate Governance

Kein grundsätzliches Regel-, sondern Anwendungsdefizit

Wirecard, Dieselgate, Lastwagen- und Schienenkartell, Libor-Betrug oder Cum-Ex – die Liste der Wirtschaftsskandale, die Justiz und Medien regelmäßig beschäftigen, ließe sich fortschreiben. Ob Finanz- oder Realwirtschaft oder Berater, ob gross oder klein, internationales oder nationales Unternehmen – es scheint egal zu sein. Schwarze Schafe, so der Anschein, gibt es überall. Welche Bedeutung die Grundsätze guter Unternehmensführung für die Wirtschaft haben und wie wichtig die klare Positionierung der Unternehmern gegenüber Ausreissern ist, zeigt der nachfolgende Beitrag: Ein Plädoyer für aktive öffentliche Positionierung für eine gute Corporate Governance und mehr Vertrauen.

Der Regulierungsreflex

So wie Skandale aus Unternehmen regelmäßig auftauchen, so wiederholen sich auch die typischen Reflexe der Politik und der breiteren Öffentlichkeit. Schnell ertönt der Ruf nach höheren Strafen oder einer noch strafferen Regulierung, sei es durch Verschärfung von Regeln oder stärkerer Beobachtung. Höhere Strafen oder strengere Regeln sollen dafür sorgen, dass es künftig keine Fehltritte in der Wirtschaft mehr geben wird. Zum typischen Reflex gehört auch, dass Maßnahmen bereits zu einem Zeitpunkt vorgeschlagen werden, zu dem die Ursachen oftmals noch nicht wirklich festgestellt werden konnten. So auch im Fall Wirecard. Wenngleich der Sachverhalt noch nicht annähernd aufgeklärt ist, wichtige Personen noch nicht greifbar sind, legt der Bundesfinanzminister einen 16 Punkte-Plan vor, mit dem ein Wirecard II verhindert werden soll. Es gilt zu handeln für die Perzeption. Denn allein schon der Vorschlag einer Handlung führt bei dem Betrachter zu dem Eindruck, dass das Problem gelöst ist. Umso größer ist aber dann die Enttäuschung der Betrachter, wenn das Handeln ins Leere geht und sich doch ein zweites Wirecard einstellt.

Von der Vertrauenslücke zum Misstrauen gegenüber der Wirtschaft

So verwundert es auch nicht, wenn das Vertrauen der Bürger in Institutionen, aber auch in die Wirtschaft in den vergangenen Jahren – wie die Zinsen – auf tiefstem Niveau verharrte. Nur Corona brachte jüngst eine Verbesserung. Hier kommt der Kriseneffekt zum Tragen, bei dem alle zusammenstehen.

Bereinigt um Corona zeigen Studien, wie der jährlich erscheinende internationale Edelman Trust Barometer, dass nur noch weniger als die Hälfte der Menschen den Regierungen vertrauen. Der Wert für Deutschland lag Anfang des Jahres sogar unter dem Weltdurchschnitt bei nur 45 %.

Geht man ins Detail, sieht das Bild noch düsterer aus. So wird die Vertrauenslücke zwischen der informierten Bevölkerung und der weniger gut informierten Frau oder dem Mann auf der Straße immer größer. In Deutschland liegt dieser „Trust Gap“ laut Edelman mittlerweile bei 20 Prozentpunkten. Eine Zahl die deutlich macht, dass das Land auf dem Weg ist, einen großen Teil der Gesellschaft zu verlieren.

Misstrauen gibt es nicht nur gegenüber der Politik, sondern auch gegenüber der Wirtschaft und ihren Vertretern. Nur Journalisten vertraut man mit einem Wert von nur 50 % noch weniger als den CEOs, die auf gerade 51 % Zustimmung kommen. Vermögenden Menschen trauen nur noch 36 %. NGOs gelten in den Augen der Menschen als weniger kompetent aber ethisch. Die Wirtschaft gilt zwar als kompetent, aber unethisch.

Enttäuschung wird auch greifbar, wenn mit 56 % die klare Mehrheit sagt, dass das kapitalistische Wirtschaftssystem gegen sie arbeitet – sie also nicht sieht, dass freie Marktwirtschaft Chancen schafft. Vielmehr wird die Gesellschaft subjektiv als nicht durchlässig angesehen, eine Gesellschaft, die sich immer mehr teilt.

Letztendlich wird mit dem ansteigenden Mistrauen die „License to operate“ und damit die Betriebslizenz von Unternehmen in Frage gestellt. Schließlich brauchen auch Unternehmen und Unternehmer gesellschaftliche Akzeptanz für ihr Tun. Politik wird immer weniger nach dem Grundsatz betrieben, unangenehme Entscheidungen zu treffen und dafür bei den Wählern zu werben. Vielmehr wird der vermeintliche Wille des Volkes, entnommen aus Meinungsumfragen, umgesetzt. Es scheint folglich nur noch eine Frage der Zeit zu sein, bis aus Unmut neue Regulierung wird. Eine Regulierung, die unternehmerisches Handeln weiter einschränkt und letztlich weitere Enttäuschungen bringt, weil Regulierung eher zu weniger, als zu mehr Nachdenken über das eigene Tun führt. Die nächsten Fehlentwicklungen scheinen geradezu vorprogrammiert.

Corporate Governance als Barometer

Dafür, dass die bestehenden Grundsätze für gute Unternehmensführung durchaus die relevanten Punkte im Blick haben, spricht, dass für denjenigen, der es sehen wollte, seit Jahren klar war, dass beispielsweise Volkswagen oder auch Wirecard Corporate Governance-Probleme hatten. So hielt das HHL Center für Corporate Governance schon frühzeitig in seinem jährlich erscheinenden Kodexakzeptanz-Report fest, dass diese Unternehmen Mängel bei der Überwachung, also im Aufsichtsrat haben. Im Falle von Wirecard wurde dies gleich mit dem Einzug in den DAX30 dokumentiert. Auch im Fall von Volkswagen erfolgte der Hinweis lange bevor die Medien über die Probleme beim Wolfsburger Konzern berichteten. Das HHL Center für Corporate Governance stützt seine Analyse ausschließlich auf öffentliche, für alle Interessierten offen zugängliche Informationen, nämlich die Entsprechenserklärungen. In ihnen legen die Unternehmen jährlich dar, wie sie den Deutschen Corporate Governance-Kodex leben.

Die Erkenntnis ist vorhanden, aber nur wenige nehmen sie zur Kenntnis.

Was ist zu tun? Anstatt an neuer kleinteiliger Regulierung zu arbeiten, mit noch mehr Checklisten und Einzelvorschriften, die das Nachdenken über das eigene Tun eher obsolet machen, weil man nur noch abhaken muss, sollten wir prüfen, ob wir tatsächlich ein Regulierungsdefizit oder nicht eher ein Anwendungsdefizit haben.

An diese Fragestellung knüpfte auch der Gedanke des „Ehrbaren Kaufmanns“ an, den Manfred Gentz als Vorsitzender der Regierungskommission deutsche Corporate Governance vor Jahren in die Debatte wiedereinführte. Der Begriff, der nicht wenigen im Zeitalter der Digitalisierung als zu altbacken erschien und daher gleich von vornherein abgelehnt wurde, steht für das Prinzip von geschriebenen und ungeschriebenen Gesetzen, des Reflektierens über Richtig und Falsch, aber auch für Sanktion durch die Gesellschaft. Die ehrbaren Kaufleute hatten nicht nur Grundsätze, sondern sie lebten sie auch. Und wer gegen sie verstieß, wurde aus der Gruppe ausgeschlossen.

Eine wiederholte Nichtbefolgung von Corporate Governance-Grundsätzen ohne nachvollziehbare Begründung führt hierzulande nicht zu einer öffentlichen Sanktionierung durch die Peers, zumindest solange nicht die Staatsanwaltschaft ermittelt. Die fehlende Stimme der Unternehmen bei Fällen wie Wirecard oder auch Volkswagen kann im Zweifel als falsch verstandener Korpsgeist missinterpretiert werden. Dabei werden viele Unternehmen letztlich nur den Grundsätzen „Schuster, bleib bei deinem Leisten“ und „Jeder kehre vor seiner eigenen Türe“ folgen. Unternehmensführer tun sich heute immer noch schwer, über Dinge öffentlich zu reden, die nicht direkt das eigene Geschäft betreffen. Als zu groß wird die Gefahr eingeschätzt, dass man mit seiner eigenen Meinung bei irgendeinem Stakeholder aneckt, man selber Gegenstand einer öffentlichen Debatte wird.

Fazit

Dabei ist es Haltung und Führung, was die Frau oder der Mann auf der Straße von den Unternehmensleitungen erwarten. 74 % der von Edelman weltweit befragten Personen sagten, dass CEOs Führung für den Wandel übernehmen sollen, nicht die Politik. Ein klares Mandat, das Hand in Hand geht mit der Erwartung, dass Unternehmen Haltung zeigen, deutlich machen, für was sie stehen und sich nicht mit ihrer Meinung verstecken. Konsumenten werden heute weniger dadurch verschreckt, dass man eine Meinung hat, sondern eher gewonnen, wenn man den Umfragen glauben mag. So sagen 70 % der für den Brand Trust Barometer 2020 Befragten, dass die Bedeutung von Vertrauen in eine Marke heute von größerer Bedeutung ist. Seit der Erstauflage des Buches “Start with Why: How Great Leaders Inspire Everyone to Take Action” von Paul Sinek im Jahr 2009 wissen wir: “People don‘t buy what you do; they buy why you do it. And what you do simply proves what you believe”. Entsprechend sagen 64 % der weltweit Befragten im Jahr 2020, dass sie erst jüngst eine Entscheidung für eine Marke aufgrund ihrer Haltung zu sozialen Fragen getroffen haben. Und 84 % der Befragten in Deutschland sind der Überzeugung, dass eine Marke im Ansehen und in der Akzeptanz gewinnen wird, wenn sie sich aktiv beispielsweise in die Rassismus-Debatte einbringt. Haltung erzeugt Vertrauen. Das zeigen die Zahlen eindrücklich. Haltung sollten daher – ganz in der Tradition des ehrbaren Kaufmanns – auch die Unternehmensleitungen zeigen, wenn es um das Thema Corporate Governance geht. Als aktiver Teil des Wirtschaftssystems, das vom Vertrauen der Bevölkerung lebt, gilt es nicht nur zu beobachten, sondern sich öffentlich in Debatten einzubringen – im Sinne der lebendigen, gelebten, modernen und nachhaltigen guten Corporate Governance.

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